#hhhilft – oder: Sieben Schnacks für mehr Menschlichkeit

Menschen sind in Not[1]. Vor Wochen und Monaten haben sie ein Leben verlassen, in dem Krieg oder Terror sie nicht mehr menschenwürdig leben ließen. Sie haben sich auf den Weg ins Ungewisse gemacht, in der Überzeugung, dass das Ungewisse nicht schlimmer sein kann als das, was sie bereits erlebt hatten. Jetzt sind sie bei uns angekommen. Sie finden ein Dach über dem Kopf, Wasser, Nahrung, vielleicht zum ersten Mal seit Wochen ein Bett. Sie halten sich zu hunderten auf engstem Raum auf, mit zu wenig Kleidung, zu wenig Seife, Shampoo, Zahnpasta, Tampons und Windeln. Viele sind erschöpft und müde, manche krank und schwach. Die Sorgen, Ängste und Schmerzen, die sie mitgebracht haben, verschwinden nicht nach einer Nacht unruhigen Schlafs in einer Halle mit hundert anderen Menschen. Das Ungewisse, das noch vor ihnen liegt, ist größer als alle trügerische Gewissheit, die das Ankommen geben kann.

In Hamburg ist ein Ort des Ankommens in diesen Tagen die Flüchtlingsunterkunft in den Messehallen. Innerhalb weniger Tage zogen dort mehr als 1.000 Flüchtlinge ein. Und innerhalb weniger Tage entstand eine beispiellose Initiative von Hamburgerinnen und Hamburgern, die tatkräftig, pragmatisch und enthusiastisch dafür sorgen, dass die, die dort ankommen, bekommen, was sie jetzt gerade am meisten brauchen: Starter-Sets mit Kleidung und Hygieneartikeln, Kinderwagen und -betreuung, Ohrenstöpsel gegen den Lärm in den Hallen, gemeinsame Grillabende mit den Nachbarn im Viertel, Ausflüge zu Planten un Blomen oder an die Elbe. Dahinter, oft minutengenau über soziale Netzwerke angefragt, die logistische Meisterleistung der Koordination von helfenden Händen, Kleintransportern, Kartons, Kleiderstangen und Desinfektionsmitteln. Der stern, die Welt und die Tagesschau staunen und berichten – auch über ähnliche Initiativen in anderen Städten.

#hhhilft oder #refugeeswelcome heißen die Hashtags in den sozialen Medien, die zu Vorzeichen dafür werden, dass wir den Menschen, die bei uns ankommen, menschlich begegnen können: Nicht mit abwartender Unsicherheit, nicht mit brüchiger “Es-wird-schon-vorbeigehen”-Geduld, nicht mit – verhaltenen oder lautstarken – Vorwürfen an Politiker und Behörden über das, was sie (nicht) sagen oder tun, und auf gar keinen Fall mit Ablehnung, Hass oder Gewalt; sondern mit praktischer Menschlichkeit, die diejenigen, die ankommen, dort trifft, wo sie jetzt gerade sind. So dass Menschen auf Menschen treffen, deren Schicksal uns als Menschen betrifft und als Menschheit bewegt.

Wie und warum funktioniert das in den Messehallen in Hamburg[2]? Und was bräuchte es, um noch mehr davon zu sehen, in noch mehr Städten und Regionen in Deutschland und in Europa? Überall da, wo Menschen ankommen, die in ihrer Heimat Wohnungen, Familien, Freunde, Arbeitsstellen, Betriebe, Hoffnungen, Lebensentwürfe und Träume aufgegeben haben und nun in der Fremde Zuflucht suchen? Wie können die Institutionen, die es gibt, den Schwung und die Begeisterung derer nutzen (und zugleich nicht: ausnutzen), die sich hier und überall ehrenamtlich einbringen? Oder: Wie können wir alle aus dem lernen, was hier und andernorts ehrenamtlich auf die Beine gestellt wird[3]? Jenseits aller Organisation, Prozesse und Strukturen fällt auf, wie die Menschen, die sich in der Hamburger Initiative zusammengefunden haben, miteinander umgehen, auch (und gerade!) in den sozialen Netzwerken, über die sie sich koordinieren. Das allein kann Vorbild sein für uns alle – nicht nur im Umgang mit den Menschen, die jetzt bei uns ankommen, sondern überall da, wo Menschen auf Menschen treffen.

Hier sind sieben Schnacks für mehr Menschlichkeit, die ich in der Hamburger Initiative aufgeschnappt habe – danke an alle, die hierzu Inspirationen geliefert haben!

“Ich sage ‘Moin’ und nicke.” – Eine der Koordinatorinnen der Hamburger Initiative hat als ihr Profilbild bei Facebook ein Foto eingestellt, auf dem es heißt: “Was sagen Sie eigentlich zu den ganzen Flüchtlingen hier?” – “Ich sage ‘Moin’ und nicke. Man will ja nicht aufdringlich wirken”. Das ist Respekt in – zugegeben: hanseatischer – Reinstform: Anerkennung von Mensch zu Mensch ohne Einmischung ins Private – und: Persönliche Verantwortung für die Begegnung mit jedem einzelnen Menschen, der bei uns ankommt, ohne Wegducken vor der individuellen Betroffenheit, ohne vorschnelle Verallgemeinerung und ohne Phrasenschinderei. Also: Sagt ‘Moin’ und nickt!

“Wer helfen will, kann helfen.” – In der Hamburger Initiative wird jede Hilfe ernst genommen: Ein Karton mit Babykleidung aus Poppenbüttel, Paletten mit Hygiene-Artikeln aus Unternehmensbeständen im Hafen, eine Stunde Zeit, um in der Kleiderkammer mitzusortieren, ein paar hundert (oder ein paar tausend) Euro Spende, um Unterwäsche zu kaufen, Pizzas für die Helfer, Seifenblasen für die Kinder, ein Computer für’s Organisations-Team (was nicht heißt, dass nicht auch klar gesagt würde, dass Kuscheltiere – leider – nicht gespendet werden sollen[4]). Weil keine Hilfe zu klein, zu groß oder unpassend ist, werden die, die helfen wollen, in ihrer Absicht bestätigt – und das motiviert auch jene, die unsicher sind, ob ihre Hilfe gewünscht ist oder gebraucht wird. Jede Hilfe hilft damit nicht nur direkt, sondern auch indirekt, weil sie die Hilfsbereitschaft anderer weckt. Also: Helft mit[5]!

“Ups – das war blöd von mir!” – Diejenigen, die sich in der Hamburger Initiative engagieren, interagieren untereinander schnell, professionell – und mit praktischer Selbstkritik. Ob einer ankündigt, dass er Spenden mit der Post schickt, um dann wenige Minuten später zu schreiben: “Ach was, ich bring’s vorbei!”, ob eine fragt, ob es hilfreich wäre, ein Poster zu erstellen, um sich dann selbst zu erwischen mit: “Wieso frage ich eigentlich? Wer macht, hat recht!”: Gemeinsam ist allen, dass sie tun, was getan werden muss, ohne lange zu diskutieren, und dass sie sich selbst ertappen, wenn sie umständlich werden (ohne – und das allein ist eine Heldentat in sozialen Netzwerken – andere zu maßregeln, wenn diese umständlich erscheinen). Also: Fasst Euch an die eigene Nase!

“Eine Million Mal Danke!” – Wer auch immer einen Beitrag leistet, wie klein (oder groß) er auch sein mag, bekommt auf den Seiten der Hamburger Initiative ein Dankeschön – oft sogar ein: “Eine Million Mal Danke!” direkt von den Initiatoren. Das gilt für diejenigen, die eine einzelne Spende aus Barmbek, Bahrenfeld oder Harburg abholen, ebenso wie für die Hamburger Unternehmen, die mit Geld- oder Sachspenden oder mit Aktionen helfen. Das freut alle, die helfen, und es macht sichtbar, wie viele dabei sind. Also: Sagt danke!

“Wissen ist zum Teilen da.” – Alle, die sich mit einer Anregung, Idee oder Frage bei der Hamburger Initiative melden, erhalten (oft postwendend) eine Antwort und einen hilfreichen Hinweis – auf ähnliche Diskussionen, die bereits laufen (oder gelaufen sind), auf geeignete Ansprechpartner oder auf Gruppen, die sich um einzelne Themen kümmern. Wer etwas weiß, teilt das mit anderen, damit das, was getan werden muss, schnell getan werden kann. Das macht alle und alles immerzu schneller, besser, schlauer und stärker. Also: Gebt Antwort und gebt weiter, was Ihr wisst!

“Die Menschen brauchen eine Perspektive.” – Im Interview mit der Tagesschau antwortete einer der Mit-Initiatoren der Hamburger Initiative, Moritz Heisler, auf die Frage, was die Menschen, die bei uns ankommen, am dringendsten brauchen: “Sie brauchen Perspektive. Sie brauchen Sachen zum Anziehen. Sie brauchen eine Möglichkeit, wie wir die Menschen in unserer Stadt integrieren können, in unserem Land integrieren können”. Das heißt: Aufrichtige Anerkennung für die Menschen, die zu uns kommen, in ihrer Entschlossenheit, ein für sie unerträgliches Leben aufzugeben, zügige, praktische Hilfe für Menschen in einer augenblickliche Notlage und mutige Zuversicht in eine Zukunft, die wir als Menschen gemeinsam gestalten können. Also: Habt Vertrauen in die Menschen!

“Nicht meckern, einfach machen.” – Der Austausch in den Foren der Hamburger Initiative ist – im beeindruckenden Gegensatz zu den üblichen Usancen sozialer Netzwerke – praktisch ohne Ausnahme sachorientiert. Diskutiert wird, was wo (gerade nicht) gebraucht wird, wie wer (oder was) wohin kommt, wer wie helfen kann, Sach- oder Geldspenden zu aktivieren, eigene Fähigkeiten und Kenntnisse einzubringen oder jemandem anders weiterzuhelfen. Persönliche Be- und Empfindlichkeiten oder Beschwerden über Dinge, die Dritte (tatsächlich oder angenommenerweise) tun oder unterlassen, haben hier keinen Platz. Alle konzentrieren sich auf das, was gerade getan werden muss. Alle machen, niemand meckert. Also: Meckert nicht, packt an!

Am Hamburger Rathaus steht die sperrige lateinische Inschrift: “Libertatem quam peperere maiores digne studeat servare posteritas” – so etwa: “Mögen die Nachkommen würdig die Freiheit bewahren, die die Vorfahren in die Welt gebracht haben”. Das, was in diesen Tagen in den Messehallen geleistet wird, steht nicht nur im Geiste dieses hanseatischen Anspruchs, sondern im Dienste der Freiheit als eines der höchsten Güter der Menschheit.

Genug geschnackt – nu’ man to.


[1] Apologies to the non-German readers of my blog: This is a post about initiatives helping refugees in Germany, more specifically in Hamburg, where I live. I felt that, for now, it would be more relevant to write it in German. I’ll be back with English posts soon. As a preview, the first sentence says: “Human beings are suffering”. BACK TO TEXT

[2] Ich schreibe hier vor allem über die Initiative, die in den Messehallen in Hamburg ihren Ursprung hat, weil diese Initiative mir räumlich am allernächsten ist. Ich bin ganz sicher, dass andere Initiativen in Hamburg (eine Übersicht dazu gibt es hier) und in anderen Städten ebenfalls Herausragendes leisten und vieles, was ich hier sage, für andere mutatis mutandis ebenso gilt! An alle: Weiter so! BACK TO TEXT

[3] Vielleicht gelingt es mir ja in den nächsten Tagen, die Initiatoren der Aktivitäten an den Messehallen zu einer Atem- und Gesprächspause zwischen Kisten und Koordination zu verführen, um einen ersten Entwurf für ein Handbuch hierzu zu schreiben. Der Arbeitstitel könnte sein #torzurmenschlichkeit. BACK TO TEXT

[4] Vorbildlich auch hier die netten Kommentare, die darauf hinweisen, dass gebrauchte Stofftiere trotzdem entgegengenommen werden: “Eine Verwendung dafür wird sich schon finden”. BACK TO TEXT

[5] Wer gerade nicht in der Nähe der Hamburger Messehallen ist, keine 200er Packs Ohrenstöpsel im Keller mehr finden kann und keinen VW-Bus zur Hand hat, um in der Stadt Spenden einzusammeln, kann übrigens bei “Refugees Welcome – Karoviertel Hamburg” für die Hamburger Initiative spenden. Oder – um ähnliche Projekte deutschlandweit zu unterstützen – auch bei “Blogger für Flüchtlinge”BACK TO TEXT

One response to #hhhilft – oder: Sieben Schnacks für mehr Menschlichkeit

  1. Imke Rust

    Vielen Dank für diesen Mutmachenden Blog, der zeigt wie es funktionieren kann! Und das Menschlichkeit doch noch überall und weit verbreitet ist! 🙂

Leave a Reply